5 ︎︎︎ Das Raus ist einsam
Ein Gespräch über Ängste mit dem für seine schwierigen Rollen bekannten Berliner-Ensemble-Schauspieler Nico Holonics.
Die veralteten Strukturen im Theater stehen derzeit zur Debatte. Oft klingt die Frage an, wie sie sich so lange halten konnten. Andererseits ist das Theater nicht nur eine Institution mit Personalführungsfragen sondern ein sehr komplex gewachsenes ästhetisches Gebilde, das auf mehreren Ebenen hohe Ansprüche an die Beteiligten stellt. Es spielt eben nicht nur seine eigenen sondern sämtliche gesellschaftliche Fragestellungen anhand von Bühnenfiguren exemplarisch durch. Eine oft unausgesprochene Frage an Schauspieler:innen gilt dabei ihrer Psychohygiene.
Die veralteten Strukturen im Theater stehen derzeit zur Debatte. Oft klingt die Frage an, wie sie sich so lange halten konnten. Andererseits ist das Theater nicht nur eine Institution mit Personalführungsfragen sondern ein sehr komplex gewachsenes ästhetisches Gebilde, das auf mehreren Ebenen hohe Ansprüche an die Beteiligten stellt. Es spielt eben nicht nur seine eigenen sondern sämtliche gesellschaftliche Fragestellungen anhand von Bühnenfiguren exemplarisch durch. Eine oft unausgesprochene Frage an Schauspieler:innen gilt dabei ihrer Psychohygiene.
Wie macht man das, sich am Abend in ein Ekel zu verwandeln und tagsüber liebevolle Kollegin oder fürsorglicher Vater zu sein? Gibt es so etwas, wie die Angst vor dem Übergreifen einer Rolle auf die eigene Persönlichkeit?
Ein Auszug aus dem Gespräch ist im Original-Ton zu hören im Podcast Schule der Angst.
Ein Auszug aus dem Gespräch ist im Original-Ton zu hören im Podcast Schule der Angst.
Interview: Astrid Kaminski
Nico Holonics, Sie spielen auf der Bühne Leute wie Xerces, den Fürsten Myschkin aus „Der Idiot“ oder Oskar Matzerath aus „Die Blechtrommel“. Leute, die Sie vermutlich nicht so gerne selber wären. Wie gehen Sie damit um, wenn Sie unangenehme oder psychisch labile Charaktere spielen? Gibt es so etwas wie die Angst vor dem Überspringen der Rolle?
Nico Holonics: Das ist von Rolle zu Rolle sehr unterschiedlich und auch davon abhängig, in welchem Lebensstadium man sich befindet, wie es einem gerade geht, wenn man eine Rolle probt oder sich mit einem bestimmten Charakter beschäftigt. Wenn man im privaten, nicht-schauspielerischen Leben ganz gut beieinander ist, dann gelingt es leichter, sich einzulassen. Es gibt aber auch Zeiten, in denen es mir nicht so gut geht und eine Abgrenzung weniger gelingt oder schwieriger ist.
Dann greifen die psychologischen Strukturen der Rolle auf die eigenen über?
Es ist das Wesen einer guten Schauspielausbildung, dass man lernt zu unterscheiden zwischen Privatleben und Bühne – wie man also eine Distanz zu der Figur einnimmt, mit der man sich beschäftigt und, wenn man eine Rolle spielt, nicht denkt, es ginge dabei um einen selbst. Dennoch ist es vollkommen klar, dass es einem nicht gelingt, einen spannenden Theaterabend zu machen, wenn man nur am Strand steht, man muss schon auch ein bisschen raus schwimmen, dahin wo die Tiefe beginnt, wo’s gefährlich wird.
Mit den Jahren im Beruf und, wenn ich das so sagen darf, einer gesunden privaten Psychohygiene, gelingt es mir eigentlich schon, Abstand zu nehmen zu den Figuren. Dennoch revidiere ich mich direkt wieder: Wenn Sie mich auf „Die Blechtrommel“ ansprechen, dann muss ich schon sagen, dass dieser Abend, der ja ein mehrstündiger Monolog ist, echt ans Eingemachte geht. Diese Erfahrung braucht schon ein bis zwei Tage, um wieder komplett aus dem Körper zu verschwinden.
Sie sitzen Ihrer Rolle eben nicht wie ein Psychologe gegenüber sondern gehen rein. Auch körperlich. Wie gehen Sie wieder raus?
Interessanterweise gibt es zwar ein Handwerk, wie man reinkommt, aber keines, wie man wieder rauskommt. Das Raus ist einsam. Man ist allein auf sich selbst zurückgeworfen. Man muss alleine nach Hause gehen und mit dem, was einem auf der Bühne widerfahren ist, in irgendeiner Form umgehen. Das dauert. Ein Tag nach der „Blechtrommel“ findet, wenn ich es mir leisten kann, auf dem Sofa statt. Ich versuche mir Ruhe zu gönnen und peu à peu wieder Abstand zu nehmen von dem, was ich da erlebt habe. Aber ein Rezept dafür habe ich auch nach 15 Jahren noch nicht gefunden.
Kein Beschwörungs- oder Beschwichtigungsritual, kein „Besen, Besen, seids gewesen“?
Es gibt einen Griff, den ich nicht so richtig cool finde, und das ist der Griff nach dem Handy, wenn ich nach „Die Blechtrommel“ in die Garderobe komme. Erstmal gucken, ob irgendwas passiert ist, ob jemand angerufen oder geschrieben hat. Das ist natürlich totaler Käse, weil: ein hilfloser Versuch wieder in der eigenen Realität, im Ich, anzukommen. Eigentlich interessiert es mich in dem Moment gar nicht, wer geschrieben hat, aber es ist wohl doch ein intuitiver Drang, wieder in der eigenen Persönlichkeit anzukommen.
Aber eine Figur, die man verkörpert hat, wurde zur konkreten Erfahrung.
Ich habe vor zwei Jahren am Berliner Ensemble den Abend „Die Verdammten“ (in einer Inszenierung von David Bösch) gespielt. Meine Rolle war die des etwas missratenen Sohnes einer Familie, die pädophile Strukturen aufweist. Er hat sich in ein 10-jähriges Mädchen verliebt und sie in den Selbstmord getrieben. Diese Rolle war eigentlich die schmerzhafteste, weil sie in Abgründe führte, die ich als Mensch gar nicht betreten möchte. Sie hing mir noch lange nach, so dass ich jedes Mal, wenn ich auf der Straße einem Kind begegnete, ein schlechtes Gewissen hatte. Ich habe mir natürlich gesagt, dass es nur eine Rolle war, aber andererseits hat mich die Auseinandersetzung mit der Täterstruktur so verletzt – das heißt, die Erfahrung zu machen, dass es Menschen gibt, die so weit gehen, hat mich persönlich als Mensch so verletzt – dass ich ein schlechtes Gewissen hatte. Und auch einen Schmerz hat es in mir hervorgerufen. Dies loszuwerden, dauerte wirklich lange.
Ist es in Ordnung, gehört es zum Ehrgeiz Ihres Berufsbildes, das zu meistern, oder würden Sie sich wünschen, dass man in solchen Situation begleitet wird?
Interessant, dass Sie das ansprechen. Das fragen mich Freunde oft, warum wir damit eigentlich so allein gelassen werden. Ich fänd’ es toll, wenn es eine Form der Begleitung gäbe. Natürlich versuchen wir uns als Kolleg:innen gegenseitig zu begleiten, aber diese Möglichkeiten kommen an Grenzen. Auch ist so eine Art von Begleitung keine, die ich meiner Partnerin auferlegen möchte. Es ist ja ohnehin für das private Umfeld schon ein seltsamer Vorgang: Man verabschiedet sich zu Hause, geht in einen Theaterabend rein und kommt verändert zurück. Darüber sprechen, das möchte ich eigentlich nicht, denn es würde mich, da es nicht einmal sondern eher viermal die Woche passiert, seltsam in den Fokus rücken. Also versuche ich, noch ein paar Runden ums Haus zu gehen oder noch ein bisschen Zeit in der Kantine zu verbringen, um ein wenig Abstand zu gewinnen.
Gibt es aus diesen Erfahrungen heraus für Sie eine Grenze? Figuren, die Sie nicht mehr oder prinzipiell nicht spielen würden?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Sie umfasst genauso ethische wie handwerkliche Fragen – zum Beispiel: Wie stellt man Gewalt dar? Darf man Gewalt durch Gewalt darstellen, wo beginnt Gewaltverherrlichung? Wie erzählt man eine Figur? Als wir mit Karen Breece das Stück „Mütter und Söhne“ probten, worin ich einen Neonazi gespielt habe, gab es einen interessanten Moment: Ich habe mich tatsächlich verweigert.
Es geht um die Geschichte eines jungen Neonazis, der Auschwitz leugnet.
Bei dieser Rolle war die Identifikations- und Charakterarbeit enorm schwer. Ich habe dabei, ähnlich wie bei der Rolle des pädophilen Mannes, von der ich gerade schon erzählt habe, gemerkt, dass ich mich als Schauspieler nicht mehr zur Verfügung stellen sondern die Texte nur vorstellen möchte. Also stelle ich mich fast wie ein Journalist hin und sage, ich erzähle die Geschichte eines Mannes, der sagt, Auschwitz habe nicht stattgefunden. Auf diese Art habe ich das Gefühl, es nicht so leicht in mein Herz hineinzulassen. Bestimmte Sachen kann ich nicht spielen sondern nur vorstellen oder referieren. Ich rezitiere einen Text, mit dem die Zuschauer:innen machen können, was sie wollen, aber ich möchte dazu keine psychologische Haltung einnehmen.
„Mutter und Söhne“ ist angelehnt an eine reale Geschichte aus unserer Zeit.
Darum war es mir noch klarer, dass ich diese Rolle nicht spielen möchte. Ich möchte dieser Person nicht so viel Verständnis entgegenbringen, dass ich versuche, sie zu verkörpern. Klar, manche Geschichten müssen erzählt werden, aber wenn sie meinen moralischen und ethischen Vorstellungen dermaßen widersprechen, dann möchte ich sagen können, ich gehe auf die Bühne, um zu bezeugen und nicht um zu spielen.
Sie machen die Figur nicht zu einer Kunstfigur, in dem Sinn, dass Sie ihr Ihre Kunst zur Verfügung stellen.
Stellen Sie sich vor, ich würde es machen. So dass man Mitleid mit diesem armen Nazi bekäme: so eine schlimme Kindheit und so weiter. Mitleid mit jemandem, der andere Leute auf der Straße halb tot prügelt, weil sie eine andere Hautfarbe haben. Das wäre fatal, wenn auch nur ein Mensch im Zuschauerraum denken würde: Ach, das hat Nico Holonics aber schön gespielt, jetzt verstehe ich das.
Man kann ihn ja aber auch so spielen, dass Abscheu vor der Figur entsteht.
Was mir aber auch zu einfach wäre. Dann kann sich der Zuschauer zurücklehnen und sagen: Damit habe ich nichts zu tun. Was nicht stimmt, weil es diese Menschen letztendlich gibt. Und so zu tun, als wären das Teufel, stimmt nicht. Es sind Menschen. Hannah Arendt hat das in „Die Banalität des Bösen“ wunderbar beschreiben: Das sind wir auch, das sind wir als Gesellschaft. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich mich physisch und seelisch – dass ich mein Herz damit vergiften möchte. Letztlich ist die Auseinandersetzung mit solchen Abgründen eine Vergiftung.
Das gilt doch auch bei einem grauenhaften Mörder wie Richard III., nicht nur bei zeitgenössischen Charakteren?
Letztlich ist das eine sehr ambivalente Sache. Aber es macht einen Unterschied, einen grausamen König zu spielen, der ziemlich weit von unserer geschichtlichen Situation entfernt ist oder einen Neonazi im 21. Jahrhundert.
Kann es auch damit zusammenhängen, wie eine Rolle geschrieben ist, also wie interessant der künstlerische Umgang mit der Psychologie der Figur und ihrem Umfeld ist?
Das ist vielleicht tatsächlich ein Argument. Je besser ein Charakter in seiner Widersprüchlichkeit und seiner Abgründigkeit geschrieben ist, desto desto. Aber es gibt keine universelle Haltung, die ich mir anziehen könnte. Es hängt von ganz Vielem ab: dem Stück, den Regisser:innen, meiner persönlichen Verfassung. Und das ist dann auch wieder das Tolle an der Kunst, dass sie nicht nach einem bestimmten Schema funktioniert, sondern immer wieder neu austariert werden muss. Wie wir als Gesellschaft ja eigentlich auch.
Biografische Infos:
Nico Holonics studierte an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Daraufhin folgten Engagements am Münchner Volkstheater und den Münchner Kammerspielen, wo er unter Karin Henkel und Johan Simons spielte. Für seine Leistungen wurde er mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet. Zudem war er als Dozent am Mozarteum Salzburg und an der HfMDK Frankfurt tätig und ist aktuell Dozent an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Er arbeitet nebenbei als Sprecher für diverse Hörbucharbeiten für den Hessischen Rundfunk. Seit 2012 ist er Ensemblemitglied am Schauspiel Frankfurt und ab der Spielzeit 2017/18 ist er Teil des Berliner Ensembles.
︎︎︎ https://www.berliner-ensemble.de/nico-holonics
Nico Holonics, Sie spielen auf der Bühne Leute wie Xerces, den Fürsten Myschkin aus „Der Idiot“ oder Oskar Matzerath aus „Die Blechtrommel“. Leute, die Sie vermutlich nicht so gerne selber wären. Wie gehen Sie damit um, wenn Sie unangenehme oder psychisch labile Charaktere spielen? Gibt es so etwas wie die Angst vor dem Überspringen der Rolle?
Nico Holonics: Das ist von Rolle zu Rolle sehr unterschiedlich und auch davon abhängig, in welchem Lebensstadium man sich befindet, wie es einem gerade geht, wenn man eine Rolle probt oder sich mit einem bestimmten Charakter beschäftigt. Wenn man im privaten, nicht-schauspielerischen Leben ganz gut beieinander ist, dann gelingt es leichter, sich einzulassen. Es gibt aber auch Zeiten, in denen es mir nicht so gut geht und eine Abgrenzung weniger gelingt oder schwieriger ist.
Dann greifen die psychologischen Strukturen der Rolle auf die eigenen über?
Es ist das Wesen einer guten Schauspielausbildung, dass man lernt zu unterscheiden zwischen Privatleben und Bühne – wie man also eine Distanz zu der Figur einnimmt, mit der man sich beschäftigt und, wenn man eine Rolle spielt, nicht denkt, es ginge dabei um einen selbst. Dennoch ist es vollkommen klar, dass es einem nicht gelingt, einen spannenden Theaterabend zu machen, wenn man nur am Strand steht, man muss schon auch ein bisschen raus schwimmen, dahin wo die Tiefe beginnt, wo’s gefährlich wird.
Mit den Jahren im Beruf und, wenn ich das so sagen darf, einer gesunden privaten Psychohygiene, gelingt es mir eigentlich schon, Abstand zu nehmen zu den Figuren. Dennoch revidiere ich mich direkt wieder: Wenn Sie mich auf „Die Blechtrommel“ ansprechen, dann muss ich schon sagen, dass dieser Abend, der ja ein mehrstündiger Monolog ist, echt ans Eingemachte geht. Diese Erfahrung braucht schon ein bis zwei Tage, um wieder komplett aus dem Körper zu verschwinden.
Sie sitzen Ihrer Rolle eben nicht wie ein Psychologe gegenüber sondern gehen rein. Auch körperlich. Wie gehen Sie wieder raus?
Interessanterweise gibt es zwar ein Handwerk, wie man reinkommt, aber keines, wie man wieder rauskommt. Das Raus ist einsam. Man ist allein auf sich selbst zurückgeworfen. Man muss alleine nach Hause gehen und mit dem, was einem auf der Bühne widerfahren ist, in irgendeiner Form umgehen. Das dauert. Ein Tag nach der „Blechtrommel“ findet, wenn ich es mir leisten kann, auf dem Sofa statt. Ich versuche mir Ruhe zu gönnen und peu à peu wieder Abstand zu nehmen von dem, was ich da erlebt habe. Aber ein Rezept dafür habe ich auch nach 15 Jahren noch nicht gefunden.
Kein Beschwörungs- oder Beschwichtigungsritual, kein „Besen, Besen, seids gewesen“?
Es gibt einen Griff, den ich nicht so richtig cool finde, und das ist der Griff nach dem Handy, wenn ich nach „Die Blechtrommel“ in die Garderobe komme. Erstmal gucken, ob irgendwas passiert ist, ob jemand angerufen oder geschrieben hat. Das ist natürlich totaler Käse, weil: ein hilfloser Versuch wieder in der eigenen Realität, im Ich, anzukommen. Eigentlich interessiert es mich in dem Moment gar nicht, wer geschrieben hat, aber es ist wohl doch ein intuitiver Drang, wieder in der eigenen Persönlichkeit anzukommen.
Aber eine Figur, die man verkörpert hat, wurde zur konkreten Erfahrung.
Ich habe vor zwei Jahren am Berliner Ensemble den Abend „Die Verdammten“ (in einer Inszenierung von David Bösch) gespielt. Meine Rolle war die des etwas missratenen Sohnes einer Familie, die pädophile Strukturen aufweist. Er hat sich in ein 10-jähriges Mädchen verliebt und sie in den Selbstmord getrieben. Diese Rolle war eigentlich die schmerzhafteste, weil sie in Abgründe führte, die ich als Mensch gar nicht betreten möchte. Sie hing mir noch lange nach, so dass ich jedes Mal, wenn ich auf der Straße einem Kind begegnete, ein schlechtes Gewissen hatte. Ich habe mir natürlich gesagt, dass es nur eine Rolle war, aber andererseits hat mich die Auseinandersetzung mit der Täterstruktur so verletzt – das heißt, die Erfahrung zu machen, dass es Menschen gibt, die so weit gehen, hat mich persönlich als Mensch so verletzt – dass ich ein schlechtes Gewissen hatte. Und auch einen Schmerz hat es in mir hervorgerufen. Dies loszuwerden, dauerte wirklich lange.
Ist es in Ordnung, gehört es zum Ehrgeiz Ihres Berufsbildes, das zu meistern, oder würden Sie sich wünschen, dass man in solchen Situation begleitet wird?
Interessant, dass Sie das ansprechen. Das fragen mich Freunde oft, warum wir damit eigentlich so allein gelassen werden. Ich fänd’ es toll, wenn es eine Form der Begleitung gäbe. Natürlich versuchen wir uns als Kolleg:innen gegenseitig zu begleiten, aber diese Möglichkeiten kommen an Grenzen. Auch ist so eine Art von Begleitung keine, die ich meiner Partnerin auferlegen möchte. Es ist ja ohnehin für das private Umfeld schon ein seltsamer Vorgang: Man verabschiedet sich zu Hause, geht in einen Theaterabend rein und kommt verändert zurück. Darüber sprechen, das möchte ich eigentlich nicht, denn es würde mich, da es nicht einmal sondern eher viermal die Woche passiert, seltsam in den Fokus rücken. Also versuche ich, noch ein paar Runden ums Haus zu gehen oder noch ein bisschen Zeit in der Kantine zu verbringen, um ein wenig Abstand zu gewinnen.
Gibt es aus diesen Erfahrungen heraus für Sie eine Grenze? Figuren, die Sie nicht mehr oder prinzipiell nicht spielen würden?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Sie umfasst genauso ethische wie handwerkliche Fragen – zum Beispiel: Wie stellt man Gewalt dar? Darf man Gewalt durch Gewalt darstellen, wo beginnt Gewaltverherrlichung? Wie erzählt man eine Figur? Als wir mit Karen Breece das Stück „Mütter und Söhne“ probten, worin ich einen Neonazi gespielt habe, gab es einen interessanten Moment: Ich habe mich tatsächlich verweigert.
Es geht um die Geschichte eines jungen Neonazis, der Auschwitz leugnet.
Bei dieser Rolle war die Identifikations- und Charakterarbeit enorm schwer. Ich habe dabei, ähnlich wie bei der Rolle des pädophilen Mannes, von der ich gerade schon erzählt habe, gemerkt, dass ich mich als Schauspieler nicht mehr zur Verfügung stellen sondern die Texte nur vorstellen möchte. Also stelle ich mich fast wie ein Journalist hin und sage, ich erzähle die Geschichte eines Mannes, der sagt, Auschwitz habe nicht stattgefunden. Auf diese Art habe ich das Gefühl, es nicht so leicht in mein Herz hineinzulassen. Bestimmte Sachen kann ich nicht spielen sondern nur vorstellen oder referieren. Ich rezitiere einen Text, mit dem die Zuschauer:innen machen können, was sie wollen, aber ich möchte dazu keine psychologische Haltung einnehmen.
„Mutter und Söhne“ ist angelehnt an eine reale Geschichte aus unserer Zeit.
Darum war es mir noch klarer, dass ich diese Rolle nicht spielen möchte. Ich möchte dieser Person nicht so viel Verständnis entgegenbringen, dass ich versuche, sie zu verkörpern. Klar, manche Geschichten müssen erzählt werden, aber wenn sie meinen moralischen und ethischen Vorstellungen dermaßen widersprechen, dann möchte ich sagen können, ich gehe auf die Bühne, um zu bezeugen und nicht um zu spielen.
Sie machen die Figur nicht zu einer Kunstfigur, in dem Sinn, dass Sie ihr Ihre Kunst zur Verfügung stellen.
Stellen Sie sich vor, ich würde es machen. So dass man Mitleid mit diesem armen Nazi bekäme: so eine schlimme Kindheit und so weiter. Mitleid mit jemandem, der andere Leute auf der Straße halb tot prügelt, weil sie eine andere Hautfarbe haben. Das wäre fatal, wenn auch nur ein Mensch im Zuschauerraum denken würde: Ach, das hat Nico Holonics aber schön gespielt, jetzt verstehe ich das.
Man kann ihn ja aber auch so spielen, dass Abscheu vor der Figur entsteht.
Was mir aber auch zu einfach wäre. Dann kann sich der Zuschauer zurücklehnen und sagen: Damit habe ich nichts zu tun. Was nicht stimmt, weil es diese Menschen letztendlich gibt. Und so zu tun, als wären das Teufel, stimmt nicht. Es sind Menschen. Hannah Arendt hat das in „Die Banalität des Bösen“ wunderbar beschreiben: Das sind wir auch, das sind wir als Gesellschaft. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich mich physisch und seelisch – dass ich mein Herz damit vergiften möchte. Letztlich ist die Auseinandersetzung mit solchen Abgründen eine Vergiftung.
Das gilt doch auch bei einem grauenhaften Mörder wie Richard III., nicht nur bei zeitgenössischen Charakteren?
Letztlich ist das eine sehr ambivalente Sache. Aber es macht einen Unterschied, einen grausamen König zu spielen, der ziemlich weit von unserer geschichtlichen Situation entfernt ist oder einen Neonazi im 21. Jahrhundert.
Kann es auch damit zusammenhängen, wie eine Rolle geschrieben ist, also wie interessant der künstlerische Umgang mit der Psychologie der Figur und ihrem Umfeld ist?
Das ist vielleicht tatsächlich ein Argument. Je besser ein Charakter in seiner Widersprüchlichkeit und seiner Abgründigkeit geschrieben ist, desto desto. Aber es gibt keine universelle Haltung, die ich mir anziehen könnte. Es hängt von ganz Vielem ab: dem Stück, den Regisser:innen, meiner persönlichen Verfassung. Und das ist dann auch wieder das Tolle an der Kunst, dass sie nicht nach einem bestimmten Schema funktioniert, sondern immer wieder neu austariert werden muss. Wie wir als Gesellschaft ja eigentlich auch.
Biografische Infos:
Nico Holonics studierte an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Daraufhin folgten Engagements am Münchner Volkstheater und den Münchner Kammerspielen, wo er unter Karin Henkel und Johan Simons spielte. Für seine Leistungen wurde er mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet. Zudem war er als Dozent am Mozarteum Salzburg und an der HfMDK Frankfurt tätig und ist aktuell Dozent an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Er arbeitet nebenbei als Sprecher für diverse Hörbucharbeiten für den Hessischen Rundfunk. Seit 2012 ist er Ensemblemitglied am Schauspiel Frankfurt und ab der Spielzeit 2017/18 ist er Teil des Berliner Ensembles.
︎︎︎ https://www.berliner-ensemble.de/nico-holonics
Hof-Theater, Blechtrommel ©Moritz Haase